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Archiv 2007, Seite 4

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100 Jahre Gehörlosen-Seelsorge im Radio-Interview

Nachricht 12/2007

Bamberg, 26.2.07

Am Montag 12.2.07 gab es ein Interview beim Bamberger Lokalsender „Radio Galaxy” mit den Gehörlosenseelsorgern Pfarrer Matthias Derrer (evangelisch-lutherisch) und Pater Gerhard Förtsch (römisch-katholisch). Radio Galaxy ist ein Jugend-Sender mit der Zielgruppe 16-24-jährige.

Moderatorin Anika Wiesbeck: Einen wunderschönen guten Abend wünsche ich euch. 19.01 Uhr ganz genau, Montag 19.00 Uhr - na aha, das ist doch klar Skyline-Zeit. Habt ihr euch schon mal überlegt, wie’s denn eigentlich ist, oder wie es wäre, wenn man gar nichts hören würde? Man könnte zum Beispiel kein Radio Galaxy hören! Wär’ schrecklich! Es ist natürlich so: Es gibt auch Menschen, die helfen Gehörlosen, bzw. beschäftigen sich damit, wie es ist, wenn man nichts hört. Und solche zwei hab ich heute Abend zu Gast. Ich unterhalt mich gleich mit ihnen und sie erzählen mir Einiges.

(Musik)

Moderatorin: Heute Abend bei mir zu Gast: Pater Gerhard Förtsch und Pfarrer Matthias Derrer. Ich sag erst mal schönen guten Abend und Hallo.

Matthias Derrer: Hallo!

Gerhard Förtsch: Auch Hallo! Guten Abend!

Moderatorin: Schön, dass sie hier sind! Ich freu mich ja immer gleich, wenn mehrere Leute im Studio sind, dann ist immer gleich viel mehr los. Besonders toll ist auch, sie beide haben im Prinzip einen ähnlichen Beruf auch noch mit gleicher Ausrichtung. Vielleicht können wir das erst mal ein bisschen genauer erklären.

Matthias Derrer: Ich bin Gehörlosenpfarrer, das heißt ich bin ein Pfarrer für gehörlose Menschen. Das bedeutet, dass es (Kommunikation) bei uns nicht in der normalen Lautsprache abläuft, sondern in der Gebärdensprache. Das ist unser Unterhaltungsmedium.

Moderatorin: Sie sind also Seelsorger, der sich hauptsächlich um Gehörlose kümmert? Sie haben ja auch eine eigene Gehörlosengemeinde hier in Bamberg?

Matthias Derrer: Wir kümmern uns um gehörlose Menschen und ihre Angehörige, also alle, die zum Umfeld dazu gehören, wobei wir das Wort „um jemanden kümmern” in dem Zusammenhang nicht so gern hören, weil das immer den Anspruch erhebt, es wären behinderte Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Sie brauchen schon unsere Stützung - ganz klar. Aber sie sind im Prinzip Menschen wie du und ich, ganz normale Menschen, die zufällig eine andere Sprache sprechen - sag ich immer. Sie haben natürlich Einschnitte wo wir (hörenden Menschen) normal auf unser Gehör angewiesen sind, aber das läuft nicht im kommunikativen Bereich. Sie können sich also mit anderen Menschen, die auch Gebärdensprache sprechen, sehr gut unterhalten.

Moderatorin: Wie sind sie eigentlich zu diesem Beruf gekommen, wieso sind sie überhaupt Pfarrer geworden, wenn ich das mal so plump fragen darf? Und warum ausgerechnet Gehörlosenpfarrer? Es ist ja schon eine besondere Anstrengung die Gebärdensprache auch zu lernen.

Matthias Derrer: Man könnte an beiden Stellen sagen, das war reiner Zufall. Man kann aber auch sagen, das war von Gott so eingerichtet. Ich bin Pfarrer geworden, weil ich mich berufen gefühlt habe dazu. Zur Ausbildung gehört ein Praktikum, in einem Gemeindebereich. Damals war ich in einer Gemeinde, die auch die Gehörlosengemeinde angeschlossen hatte. So kam ich dazu.

Moderatorin: Pater Förtsch, wie war das bei ihnen? Bei ihnen ist das ja auch ein bisschen anders. Sie haben ja keine spezielle Gemeinde hier in Bamberg, sondern sie sind weitläufiger tätig?

Gerhard Förtsch: Das ist richtig. Wir sind zunächst mal nicht nur für die Gehörlosen selbst zuständig, sondern auch für Schwerhörige. Wir nennen das Hörgeschädigtenseelsorge. Bei uns ist das ein bisschen anders strukturiert. Bei uns ist die Diözese der Bereich, in dem wir tätig sind.

Moderatorin: Dazu muss man vielleicht ganz kurz sagen, Pfarrer Matthias Derrer kommt aus dem evangelischen Bereich und Pater Förtsch, sie kommen aus dem katholischen. Sie sind übrigens in einem Auto zusammen hierher gefahren.

Gerhard Förtsch: Ja, wir verstehen uns auch sonst ganz gut! Mein Bereich ist etwas größer. Wir sind in der Diözese in Bamberger zu dritt. Wir waren früher mehr, aber leider ist auch hier gekürzt worden. Wir haben zwei Schwerpunkte Bamberg und Nürnberg.

Moderatorin: Wie sind sie dann zu dieser Sparte der Seelsorge gekommen?

Gerhard Förtsch: Bei mir war’s ähnlich wie es Pfarrer Derrer schon sagt, auch Zufall oder Fügung - je nachdem, wie man das sieht. Ich bin in einer Klostergemeinschaft, gehöre zu den Karmeliten in Bamberg und habe von daher verschiedene Funktionen schon wahrgenommen. Ich bin eines Tages von der Diözese gefragt worden, ob ich nicht Lust hätte, da einzusteigen. Das habe ich gemacht und so ist das gekommen.

Moderatorin: Also, einfach mal die Lust gehabt, auch mal etwas anderes auszuprobieren, zu sagen, ich nehme die Herausforderung an.

Gerhard Förtsch: Es war tatsächlich eine Herausforderung, die hat mir Spaß gemacht und irgendwie bin ich dann daran hängen geblieben.

Moderatorin: Wie die zwei jetzt sozusagen im Alltag ihrem Beruf nachgehen und was es in Bamberg alles für Gehörlose so gibt und was geboten ist, darüber reden wir gleich.

(Musik)

Moderatorin: Ich darf heute bei mir begrüßen Pater Gerhard Förtsch und Pfarrer Matthias Derrer. Beide üben einen relativ ähnlichen Beruf aus. Sie sind Gehörlosenseelsorger, oder Seelsorger für Gehörlose. Allerdings, Herr Derrer - Seelsorge allein ist ja wirklich nicht alles, was sie in ihrer Gemeinde machen.

Matthias Derrer: Nein, Seelsorge ist im Prinzip ein kleiner Teil davon. Das heißt, wie jeder andere Pfarrer auch, wenn ein Gemeindeglied uns anspricht, dann können miteinander über Probleme reden oder gemeinsam schauen, wie kann ein guter Weg aussehen in dieser Angelegenheit. Aber darüber hinaus ist die ganz normale Gemeindearbeit natürlich auch unser Bereich. Das heißt: Gottesdienste, Taufen, Trauungen, Beerdigungen, Jugendarbeit, Konfirmandenunterricht und so weiter.

Moderatorin: Und alles natürlich in Gebärdensprache.

Matthias Derrer: Ja, genau!

Moderatorin: Also ich muss gestehen, ich stelle mir das gerade bei einer Beerdigung auch total schwer vor, das zu machen, aber das ist wahrscheinlich auch nur eine Gewohnheit.

Matthias Derrer: Man muss gerade bei der Beerdigung immer unterscheiden: Sind tatsächlich nur gehörlose Menschen da, oder sind auch hörende - ich sage mal - Gäste da. Da unterscheiden wir natürlich auch! Wenn das kleinere Veranstaltungen sind, dann versuchen wir das unter einen Hut zu bringen. Wenn das große, öffentliche Veranstaltungen sind, dann arbeiten wir durchaus auch mit Dolmetscher. Das war zum Beispiel nicht das erste Mal, dass ich mit der Gebärdensprache die Hauptführung der Sprache übernommen habe und meine eigene Sprache wurde dann in Lautsprache gedolmetscht. Ein seltsames Gefühl, aber es ist so.

Moderatorin: Also umgekehrt und nochmal umgekehrt. Pater Förtsch, bei ihnen ist es ja so, sie haben keine spezielle Gemeinde, sie fahren viel von Ort zu Ort. Wie sieht ihre Arbeit konkret aus?

Gerhard Förtsch: Zunächst - wir arbeiten auch in Gehörlosengemeinden und sie fühlen sich im Großen und Ganzen auch zusammen gehörig, es ist also nicht so, dass jede Gemeinde für sich ist, sondern sie tauschen sich aus und haben eine Veranstaltung und es kommen Gehörlose von anderen Orten. Es läuft also bei uns ein bisschen ineinander. Es ist richtig, dass ich von Ort zu Ort fahren muss. Wir feiern dort Gottesdienste, sind danach bei den Monatsversammlungen der einzelnen Vereine dabei, einfach um mit den Leuten Kontakt zu haben, ein Stück mit ihnen zu leben und so auch ihre Sorgen, Probleme und Freuden mit ihnen zu teilen. Das ist immer eine gute Gelegenheit, dass man von Leuten auch angesprochen oder auf das Eine oder Andere hingewiesen wird, wo man gebraucht wird. Das ist ganz gut so.

Moderatorin: ... Zur Gemeindearbeit gehört ja nicht nur die Seelsorge, sondern viele Bereich auch. Ich war ganz erstaunt, als ich vorab gehört habe, was es da alles gibt. Es gibt ja von Gehörlosengottesdienst bis zur Gehörlosenschule alles, was den Alltags-Bereich abdeckt, oder?

Gerhard Förtsch: Das ist richtig! Seelsorge heißt ja nicht nur einen bestimmten Bereich zu berücksichtigen, sondern den ganzen Menschen zu sehen. Da gehört natürlich auch viel dazu - ganz klar!

Moderatorin: Herr Derrer, wie ist das eigentlich? Manchmal habe ich das Gefühl - die Sprache ist ja eine ganz andere, nicht wie unsere Sprache, sondern eine Sprache, die man wirklich erst lernen muss. Ist denn auch die Religion oder der Glaube, den Gehörlose haben, ein anderer als bei hörenden Menschen, oder ist das völlig ähnlich oder sogar gleich. Was würden sie dazu sagen?

Matthias Derrer: Ob der Glaube tatsächlich ein anderer ist, das kann ich so genau nicht sagen. Aber ich weiß, dass die Ausdrucksform, wie ich vom Glauben erzähle, das muss eine andere sein, denn die Gebärdensprache erfordert wesentlich mehr Konkretion. Ich kann nicht im unscheinbaren Bereich bleiben, ich muss wesentlich konkreter werden, wenn ich mit Gehörlosen über den Glauben spreche.

Moderatorin: Konkreter - was muss man sich darunter vorstellen?

Matthias Derrer: Ich kann nicht einfach nur sagen: „Gott liebt die Menschen”, ich muss sagen, was das bedeutet. Ich muss sagen: Gott geht auf dich zu, er unterstützt dich, er hilft dir im Alltag usw.

Moderatorin: Also eigentlich eine ganz besondere Herausforderung.

Matthias Derrer: Ja, eine Herausforderung, die auch viele Einflüsse in den hörenden Bereich hinein hat.

Moderatorin: Bei ihnen ist es jetzt so: Sie haben eine Gemeinde und bleiben auch an einem Ort. Das hat auch eine praktische Seite, dass man vielleicht nicht so gehetzt ist. Bei ihnen, Pater Förtsch ist es so, sie sind ziemlich viel auf der Straße unterwegs. Hat das vielleicht auch den Vorteil, dass man ein bisschen vergleichen kann, wie die einzelnen Gemeinden sind, was gearbeitet wird und hat auch neue Ideen im Kopf?

Gerhard Förtsch: Sicher, man kann gut vergleichen - auf der einen Seite. Auf der anderen Seite befruchten (geben Ideen weiter) sich die Gemeinden auch gegenseitig, weil bei den einen das los ist, bei den anderen das und auch gegenseitig Einladungen stattfinden. Es haben alle Seiten etwas davon. ... Es geht zwar auch viel Zeit drauf, aber das ist es Wert.

Moderatorin: Außerdem ist dieses Jahr ein ganz besonderes Jahr für die Gehörlosenseelsorge. Sie feiert nämlich Jubiläum. Wie alt sie ganz genau wird, darüber reden wir gleich.

(Musik)

Moderatorin: Heute bei mir zu Gast zwei Menschen, die sich ganz besonders um Menschen kümmern, die nicht so viel hören und die sich mit Händen und Füßen unterhalten. Funktioniert auch ganz gut, wenn man’s nicht anders gewohnt ist. Das machen übrigens auch Menschen hier in unserer Gegend und in Bayern schon seit über 100 Jahren. Die Gehörlosenseelsorge feiert 100-jähriges Jubiläum. Was da alles dazu gehört, was alles ab geht, das erfahrt ihr gleich.

(Musik)

Moderatorin: Heute bei mir zu Gast Pater Gerhard Förtsch und Pfarrer Matthias Derrer. Beide sind Gehörlosenseelsorger. Es hat natürlich auch einen speziellen Grund warum ich die beiden eingeladen habe. Wir begehen ein Jubiläum. Pfarrer Matthias Derrer, erzählen sie uns doch mal, was für ein Jubiläum genau.

Matthias Derrer: Wir feiern in diesem Jahr 100-jähriges Jubiläum der evangelisch-lutherischen Gehörlosenseelsorge in Bayern. ...

Moderatorin: ... Schöner Anlass. Aber man fragt sich jetzt gleich: Hat man vorher sich praktisch überhaupt nicht um Gehörlose gekümmert in diesem Bereich, oder ist das dann erst eine offizielle Sache geworden vor 100 Jahren.

Matthias Derrer: Man muss einfach sagen: Vor 100 Jahren war es ungefähr, dass gehörlose Menschen auf einen Pfarrer zu gegangen sind und gesagt haben: Wir hätten gern Gottesdienste in unserer Sprache. So fing das an. Der Pfarrer musste natürlich auch erst die Gebärdensprache lernen. Das heißt, er hat sich mit Gehörlosen zusammen gesetzt, die Gebärdensprache gelernt. Die haben damals einfach Predigten zerlegt und in Gebärdensprache übersetzt. ... Und so fing das an und es wurde mehr und mehr eine feste Einrichtung und inzwischen finden monatlich an ganz verschiedenen Orten überall in Bayern Gottesdienste statt.

Moderatorin: Dann kann man ja fast von der Emanzipation der Gehörlosen sprechen?

Matthias Derrer: Ja, genau - selbstbewusst werden.

Moderatorin: Sie haben vorhin gesagt und vorab schon verraten, dass es nicht nur eine Festveranstaltung gibt in diesem Jahr zu diesem Jubiläum, sondern dass es mehrere sind über das Jahr verteilt. Was ist da alles los?

Matthias Derrer: Nachdem das Ganze ein Prozess war und man auch lange überlegt hat, wann war das genau - das historisch zurück zu verfolgen war gar nicht so einfach - deshalb hat man von vornherein gesagt: Machen wir doch gleich ein ganzes Jubiläumsjahr daraus. Deshalb haben wir schon im Advent letztes Jahr (2006) angefangen und das zieht sich noch durch bis zum großen Festgottesdienst am 13. Oktober in Nürnberg. Aber dazwischen gibt es noch ganz viele Veranstaltungen: Es gibt Workshops im Pantomime-Bereich, im Jugend-Bereich, Biblisches Theater, Bibliodrama, ein ganz breites Spektrum an ganz unterschiedlichen Orten in Bayern.

Moderatorin: Ist das vielleicht auch eine schöne Möglichkeit als Hörender auf solche Leute zu zu gehen und es ist ohnehin so öffentlich und es ist ein Fest, da kommen viele Leute hin, da kann ich eigentlich auch mal vorbei schauen, wenn’s mich interessiert, ohne dass man Berührungsängste haben muss.

Matthias Derrer: Grundsätzlich sind alle unsere Veranstaltungen offen für Jedermann. Jeder ist immer eingeladen, mal vorbei zu schaun und mal zu zu schauen - das sage ich auch ganz bewusst: zu zu schauen, denn mit der Lautsprache ist ja bei uns eher weniger. Wir stellen uns zwar auf hörende Gäste ein und nehmen dann auch die (Laut-)Sprache mit dazu, aber es ist schon auch ein Erlebnis, ein optisches Erlebnis.

Moderatorin: Gerade wegen Berührungsängsten, die glaube ich teilweise schon da sind: Sie haben vorhin schon gesagt, man schiebt auch Gehörlose gleich immer in die Ecke bedürftig, brauchen Hilfe usw. Herr Förtsch, wie ging es ihnen da? Sie haben auch vor ein paar Jahren die Gebärdensprache gelernt und haben jetzt ständig mit Gehörlosen zu tun. Sind sie da auch so ein paar mal ins Fettnäpfchen getreten, dass man da Sachen sagt oder von Dingen ausgeht und Gehörlose sagen dann: Also Entschuldigung, ich bin doch nicht behindert! ... Kann man da so am Anfang in Fettnäpfchen treten, wenn man sich noch nicht so auskennt?

Gerhard Förtsch: Ja, man muss halt aufpassen. Das kann natürlich sein. Allerdings hatte ich das Glück, dass ich Kollegen hatte, die mir viel Hilfestellung geleistet haben, obwohl ich schon relativ alt war, als ich mit Gebärdensprache angefangen habe. Und ich bin so langsam rein gewachsen und ich denke, man darf die Leute nicht nur als Gruppe Gehörloser oder Hörgeschädigter sehen, sondern es sind einfach Menschen, mit denen man es zu tun hat und da braucht man ein Medium mit dem man sich unterhalten und verständigen kann und so wächst man in die Gebärdensprache neben den Kursen, die man macht, einfach hinein.

Moderatorin: Man verliert also sämtliche Berührungsängste, indem man es einfach macht, weil man merkt, dass es gar nicht so heikel ist, wenn man sich ganz normal benimmt, oder?

Gerhard Förtsch: Richtig, ich sehe da nicht einen Bedürftigen oder einen Menschen, der anders ist, sondern ich sehe einfach den Menschen und wir gehen auf einander zu und ich denke, da wo Menschen aufeinander zu gehen - egal ob gehörlos oder hörend - die finden irgendwo immer einen Weg, dass sie sich verständigen können, da habe ich noch nie Probleme gehabt.

Moderatorin: Herr Derrer, welche Erfahrungen haben sie da gemacht? Ich hab ja schon vorhin erwähnt, dass ich einmal mit einer blinden Schriftstellerin gesprochen habe und die hat sich überhaupt nicht als behindert empfunden, wovon wir Hörende und Sehende immer ausgehen. Welche Erfahrungen haben sie da gemacht? Sind sie schon mal ins Fettnäpfchen getreten, oder war das immer ganz leicht?

Matthias Derrer: Am Anfang ist es mir in den Gottesdiensten regelmäßig passiert, dass ich gesagt habe: Wir haben jetzt die Lesung gehört. Wir haben sie natürlich nicht gehört, sondern wir haben sie gesehen - das sag ich inzwischen auch. Das ist so ein kleiner Fehler, über den sicher auch die Gehörlosen lachen. Gehörlose haben auch viel Humor. Aber so ganz grundsätzlich, ich sage immer: Man kann auf einen Gehörlosen genauso zugehen, wie auf einen Amerikaner. Ich vergleiche auch oft die beiden Sprachen miteinander und sage: Ok, es sind Menschen mit einer anderen Sprache, aber einen Amerikaner spreche ich doch auch an und er spricht mich auch an und wir versuchen ja irgendwie auch irgendwie miteinander in Kommunikation zu treten, mit Händen und Füßen. Die Gebärdensprache hilft uns dabei, weil ganz viele Elemente der Gebärdensprache ganz natürliche Element sind. Wenn es darum geht, wie geht die Bewegung von „essen”, dann ist es ganz klar die Hand zum Mund führen, genauso trinken. Wir haben also ganz viele natürliche Gebärden in unserem Alltag schon drin und deshalb sind uns viele Türen auch schon geöffnet.

Moderatorin: Also sind wir uns da in der Sprache vielleicht doch ähnlicher, als wir denken! Wo man sich vielleicht informieren kann, wo Gehörlosengottesdienste hier in Bamberg stattfinden und es gibt auch eine Schule, wo die ist - darüber reden wir gleich.

(Musik)

Moderatorin: Heute bei mir zu Gast Pater Gerhard Förtsch und Pfarrer Matthias Derrer. Sie beide sind Seelsorger für Gehörlose hier in Bamberg beziehungsweise auch in der Region. Wie ist es denn eigentlich hier in Bamberg? Wie findet das Gemeindeleben statt? Was ist hier alles geboten?

Matthias Derrer: Bei uns im evangelischen Bereich ist es so, dass wir überwiegend Gehörlosengottesdienste anbieten, das heißt an jedem 2. Sonntag im Monat findet in der Philippuskirche in der Nähe vom Klinikum ein Gehörlosengottesdienst statt, der - wie gesagt - auch immer offen ist für Gäste. Wer also einfach mal vorbei kommen mag, um sich das anzuschauen, ist herzlich dazu eingeladen. Ansonsten - wir sind eine sehr kleine Gemeinde, das heißt wenn wir irgend etwas darüber hinaus an Veranstaltungen haben, dann sind das immer Projekte, also Einzeltermine, die nicht sofort (regelmäßig) bekannt sind, die wir aber in unserem Bereich bekannt machen. Aber man kann nicht sagen, das ist regelmäßig immer hier und da. Wir machen auch viel gemeinsam mit der katholischen Gemeinde, Familientage oder ähnliches. Da haben wir auch feste Einrichtungen, die auch immer wieder stattfinden, aber ansonsten muss man sich einfach informieren.

Moderatorin: Wenn ich jetzt selbst gehörlos bin und Fragen habe, oder wenn ich Familienangehörige habe und einfach etwas wissen möchte, auch zu Veranstaltungen, kann ich mich an Pater Förtsch wenden oder auch an sie, Herr Derrer?

Matthias Derrer: Na klar, jederzeit gerne!

Moderatorin: Jetzt hätte ich eine Frage, wenn ich jetzt Gebärdensprache lernen wollen würde, wie lange würde das denn dauern? .... Oh, die Gesichter der beiden müsstet ihr jetzt mal sehen! (Lacht) Das nehme ich jetzt mal nicht persönlich!

Matthias Derrer: Naja, das hat auch weniger mit ihnen zu tun. Das ist einfach eine fremde Sprache. Ich lerne jetzt seit ungefähr 4-5 Jahren und ich verstehe bei weitem immer noch nicht alles, was mir gehörlose Menschen sagen wollen.

Moderatorin: Das ist ja wie Chinesisch!

Matthias Derrer: Naja, zumindest junge Leute reden manchmal ganz schön schnell und da kommt man dann nicht hinterher.

Moderatorin: Das kann ich mir vorstellen! Man muss also wirklich Vokabeln lernen wie in einer anderen Fremdsprache auch?

Matthias Derrer: Genau!

Moderatorin: Was sie noch gesagt haben, Herr Förtsch, das fand ich total toll: Wenn man jetzt nach Bayreuth geht, dass dort die Gehörlosen anders reden, als in Bamberg. Es gibt also Gebärden-Sprach-Dialekte?

Gerhard Förtsch: Sicherlich! Das kommt wahrscheinlich auch daher, weil früher die einzelnen Schulen angefangen haben, so etwas wie Gebärdensprache zu entwickeln. So ist manche regionale Prägung oder - wie sie sagen - Dialekt auch heute noch üblich. Bestimmte Gebärden werden eben wo anders auch anders gebärdet. Aber Gebärdensprache ist ja nicht nur die Gebärden, sondern ist auch Mundbild, Mimik, Zusammenhang und von daher kommt man trotzdem, wenn man einigermaßen drin ist, zurecht.

Moderatorin: Also ist das genauso, wie wenn ich als Franke nach Niederbayern komme? Ich versteh vielleicht auch nicht jedes Wort, aber den Inhalt versteh ich schon ....

Gerhard Förtsch: Ja, so ähnlich kann man das vergleichen. Was natürlich noch ein Unterschied ist, das ist die Art und Weise, wie Ältere und Jüngere gebärden. Das sind eigentlich schon zwei verschiedene Sprachen, die zum Teil gar nicht mehr kompatibel sind. Man muss also da auch aufpassen, manche Ältere verstehen das nicht mehr, was die Jungen gebärden.

Moderatorin: Gut, ich kann mir aber auch vorstellen, dass das ähnlich ist wie in der normalen Sprache, denn Kinder und Jugendliche haben dann „cool” und „chillig” und solche Worte - das kennen Ältere auch nicht und sagen, was ist denn das!

Gerhard Förtsch: Ja, aber es kommen auch verschiedene grammatikalische Verschiebungen dazu, einfach um mehr ausdrücken zu können, was die Älteren noch nicht so gelernt haben, die sind mehr am Wort und am Text orientiert, während die Jüngeren einfach auch Zusammenhänge mit gebärden.

Moderatorin: Es entwickelt sich also auch fort? Herr Derrer, vielleicht noch ganz kurz - wenn man sich interessiert für die Gehörlosengemeinde in Bamberg, oder wenn man sagt: Jetzt hab ich was drüber gehört, ich würd vielleicht doch gern mal zu einer Veranstaltung oder zu einem Gottesdienst gehn ... Sie haben eine Internet-Seite ...

Matthias Derrer: Ja, die evangelische Gehörlosengemeinde in Bayern hat eine Internet-Seite: Evangelische Gehörlosen-Gemeinde als Abkürzung egg-bayern.de

Moderatorin: Also, da kann man mal drauf klicken und da ist dann alles verzeichnet, wenn man mal vorbei kommen möchte.

Matthias Derrer: Ja, da gibt’s nicht nur Termine und interessante Neuigkeiten über uns, sondern natürlich auch Grundsatz-Informationen, auch das was wir heute besprochen haben: Wie verhalte ich mich, wenn ich jemanden ansprechen möchte, der gehörlos ist.

Moderatorin: Wunderbar, dann bedanke ich mich ganz herzlich bei ihnen beiden. Viel Spaß weiterhin bei ihrer Arbeit. Vielleicht komm ich ja dann auch mal bei einem Gottesdienst vorbei und guck mal, was ich so alles verstehe! Herr Förtsch, sie wollten noch kurz was sagen ...

Gerhard Förtsch: Ich wollte auch nur sagen, dass auch wir über Internet erreichbar sind. Und zwar gibt es eine Homepage für die Gehörlosengemeinden in ganz Deutschland: katholischegehoerlosengemeinden.de (kath.gehoerlosengemeinden.de). Dort muss man das entsprechende Bistum anklicken und dann findet man im Menü weiter auch in der eigenen Region. Dort sind sämtliche Gehörlosengottesdienste, auch die in der Erzdiözese Bamberg aufgelistet an verschiedenen Orten. Einfach kath.gehoerlosengemeinden.de

Moderatorin: Also dank dem Internet rundum informiert. Vielen Dank ihnen beiden nochmal ...

(Musik)

vom Radio-Mitschnitt abgetippt von Matthias Derrer

Neues Zuhause für die bayerische Realschule für Gehörlose (RfG)

Nachricht 11/2007

München, 12.02.07

Die Realschule für Gehörlose, die von Schülern aus dem süddeutschen Raum und aus Österreich besucht wird, war gerade 40 Jahre alt. Da hat sie endlich ein neues Schulhaus bekommen, aber nicht für sich allein! Bisher staatlich und Teil der Landesschule für Gehörlose wurde die Schule nun an die private Samuel-Heinicke-Realschule (Schulcentrum Augustinum) übergeben und ist jetzt "In den Kirschen" in der Nähe von Schloss Nymphenburg. Dort war die frühere Landesschule für Blinde umgebaut worden - mit großem architektonischen Geschick in schönen Farben und mit viel Licht. Die ca. 50 gehörlosen Realschüler haben jetzt ungefähr 500 Mitschüler, darunter Schwerhörige, Hörende, Legastheniker oder Schüler mit zentralauditiven Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen. Glücklicherweise sind unter den schwerhörigen Schülern einige, die gehörlose Eltern haben und deshalb gut gebärden können; aber auch viele Lehrer und die hörenden Schüler möchten die Gebärdensprache lernen. Am 28. November 2006 wurde die neue Schule feierlich mit dem ökumenischen Segen in Anwesenheit des bayerischen Kultusministers Schneider eingeweiht.

Christine Keßler

Kinderübernachtung im neuen Haus!

Nachricht 10/2007

Nürnberg, 08.02.07

Das ist inzwischen schon Tradition: Die Himmelhüpfer und Rumpelwichte übernachten im Gemeindehaus in Nürnberg. Vom 30. Juni bis zum 1. Juli gibt es die erste Kinderübernachtung im neuen Gemeindehaus. Wir treffen uns am Samstag nachmittag, machen Spiele und ein buntes Programm. Nach dem gemeinsamen Abendessen gehts dann ab in den Schlafsack! Am Sonntag vormittag frühstücken wir noch gemütlich und fahren dann wieder nach Hause. Anmeldung zur Übernachtung bei Erika Burkhardt

Erika Burkhardt

Hospizarbeit von und für Gehörlose

Nachricht 9/2007

Bayern, 01.02.07

Was ist, wenn ein Gehörloser schwer krank wird und sterben muss? Wer begleitet alte, pflegebedürftige Gehörlose? Die bezahlten Pflegekräfte haben für ihre „Pflegefälle“ durch die Vorschriften der Pflege- und Krankenkassen zu wenig Zeit, um mit ihnen in Gebärdensprache über ihre Gefühle und Ängste zu reden oder einfach bei ihnen zu sitzen und für sie da zu sein. Für Hörende gibt es seit einige Jahren an vielen Orten ehrenamtliche HospizhelferInnen, die sich um solche Menschen kümmern und ihnen Aufmerksamkeit und Zeit schenken. Diese Hospizhelfer sind dafür ausgebildet, Menschen im Sterben oder in Trauer zu begleiten. Aber wer von ihnen kann mit Gehörlosen kommunizieren? Vor einigen Jahren wurde in Bayern eine Initiative „Hospizarbeit für Gehörlose“ gegründet; in Zusammenarbeit mit dem Christophorus-Hospiz-Verein in München werden einmal im Jahr Seminare angeboten, die das Thema Sterben, Tod und Trauern mit interessierten Gehörlosen oder gebärdensprachkompetenten Hörenden bearbeiten. Teilnehmer in diesen Seminare aus ganz Deutschland beschäftigen sich mit ihren eigenen Erfahrungen mit Trauer und Tod; sie können ihre Fragen und Ängste offen aussprechen. Diplompädagogin Christel Orth, die viel Erfahrung in der Hospizarbeit hat, leitet die Seminare zusammen mit Pfarrerin Christine Keßler. Bei Interesse an der Hospizarbeit wenden Sie sich an Pfarrerin Keßler: Fax 089/710 19 997 Email: christine.kessler@egg-bayern.de



Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

Nachricht 8/2007

BRD, 27.01.06

Auch in diesem Jahr rufen verschiedenen Initiativgruppen und Kirchen am 27. Januar 2007 - dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus ­ zu einem mahnenden Gedenken am Platz der Opfer des Faschismus auf. Am 27. Januar 1945 wurde das KZ Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Zu Recht wird gerade an diesem Jahrestag in der öffentlichen Diskussion an die unvorstellbar grauenhafte Barbarei in Auschwitz und in den anderen KZs der Nazi-Diktatur erinnert.

Dieser Gedenktag ist deshalb Mahnung und Aufforderung zugleich, bei uns jeglicher Art von Völkerhass, Rassismus und Antisemitismus von Anfang an gemeinsam entschieden entgegen zu treten. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

Wir erinnern daran, dass in der Zeit des Nationalsozialismus ca. 16.000 gehörlose Menschen in KZ eingesperrt waren, mehr als 1.500 in KZs umkamen und unzählige Gehörlose zwangssterilisiert wurden.

Joachim Klenk

 

 

 

 

 

 

 

 

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